Wer auf der Stelle tritt, kann sich nicht verbessern. Daher sind Innovationen ein wichtiger Bestandteil eines jeden Unternehmens. Allerdings sind Innovationen auch ein Sprung ins Unbekannte und damit ein riskantes Unterfangen. Das Digital Innovation Model soll das ändern.
Unsere moderne Zivilisation ist seit der Frühgeschichte eine Symbiose mit ihren technischen Hilfsmitteln eingegangen, um sich stetig zu verbessern. Ob nun das Rad oder Maschinen zur industriellen Produktion – jede Entwicklung ermöglichte eine bessere Lebensweise und wurde stetig durch neuere Innovationen ersetzt. Mittlerweile jedoch müssen sich technische Errungenschaften auf einem Markt behaupten, der in der Regel eine Vielzahl von ähnlichen oder identischen Konkurrenzprodukten bietet. Innovationen haben keine Monopolstellung mehr.
Aus einer Idee wird ein Modell
Jedes Jahr entstehen innovative Ideen für IT-Produkte. Allerdings schafft es nur ein Bruchteil bis zur Marktreife und ein noch kleinerer Teil zum kommerziellen Erfolg. Allein im Jahr 2012 wurden 257.744 Patente beim Europäischen Patentamt angemeldet, wobei davon mehr als 13 Prozent aus Deutschland kamen. Damit ist Deutschland Spitzenreiter in der Anmeldung von Innovationen in Europa.
An Ideen mangelt es wahrlich nicht, doch wenn es zur Planung des Geschäftsmodells kommt, bleiben oftmals die wichtigsten Fragen unbeantwortet. Was also tun, um aus einer Idee ein erfolgreiches Produkt zu entwickeln? Dieser Frage ist das Team von Handspiel nachgegangen und hat durch eine interdisziplinäre Herangehensweise einen Weg gefunden, die vielen Facetten des Innovationsprozesses in einem Modell zusammenzufassen. Um die gesamte Bandbreite einer digitalen Innovation abzudecken, wurden u.a. Erkenntnisse aus den Forschungsgebieten der Adoptions-, Diffusions-, und Kommunikationsforschung, sowie eigenen Usabilityerfahrungen zusammengefasst und komprimiert. Nach langer Recherche und unzähligen Probeläufen, kann jetzt erstmals ein strategisches Fundament für digitale Innovationen präsentiert werden: Das Digital Innovation Model.
Die erfolgreiche Nutzerstrategie
Die größte Herausforderung beim Prozess der Neuentwicklung und Etablierung von Innovationen stellt die komplexe Planung von der Produktidee bis hin zur Markteinführung dar. Da hierbei meistens nicht nur das Produkt, sondern ein komplett neues Geschäftsmodell im Fokus steht, müssen gleich mehrere Ziele und Prozesse parallel berücksichtigt werden.
Um dies zu erleichtern, liefert das Digital Innovation Model (DIM) eine einheitliche Struktur, durch die der Prozess in neun Schritten zusammengefasst wird. Durch diese schrittweise Analyse der Situation und des Produktes lassen sich wichtige Erfolgsfaktoren für die Entwicklung erkennen.
Gehen wir einmal davon aus, dass wir eine grandiose Idee für eine Smartphone-Anwendung haben: Der Nutzer soll jederzeit die nächste Reiseverbindung – egal ob öffentliche Verkehrsmittel, Taxi, Mietauto, Mietfahrrad oder Flugzeug – ermitteln können. Nennen wir diese App einfach "MOBA". Da dieses Vorhaben nicht nur eine gewaltige Informationsgrundlage voraussetzt, sondern auch vielzählige Kooperationen erfordert, ist eine detaillierte Planung bis zur Veröffentlichung erforderlich.
Genau für solch einen Fall ist das Digital Innovation Model gemacht. Gehen wir nun Schritt für Schritt die neun Punkte durch und schaffen somit eine erste Grundlage für den Erfolg der Innovation.
Schritt 1: Ergebnisse
In einer Idee ist immer die Beschreibung eines Wunschzustandes, eines Ziels vorhanden. Dieses gilt es klar zu definieren, möglichst bildhaft und konkret: Was soll am Ende für den Innovator heraus kommen? Was sind die Ziele, wo will man am Ende mit der Innovation stehen?
Mögliche Ziele für die App "MOBA" könnten die Gewinnung neuer Kundengruppen oder die Erweiterung des eigenen Serviceangebots sein, zum Beispiel mittels Carsharing, um so neue Kundengruppen zu gewinnen.
Schritt 2: Erfolgversprechendste Zielgruppe
Wer wird die Innovation annehmen, nutzen und weiterverbreiten und damit zum Erfolg beitragen? Wie ist die Lead User Gruppe definiert? Welche Charaktereigenschaften hat sie? Welches Verhalten und welche Gewohnheiten weist sie auf? Wo ist sie – im Alltag und in ihrer Mediennutzung – anzutreffen? Wer hat direkten Kontakt mit der Zielgruppe? Welche unterschiedlichen Nutzertypen gibt es für das neue Produkt?
Im Fall der App "MOBA" sind sehr viele potentielle Nutzer vorhanden. Daher ist es wichtig, die möglichen Lead User zu finden und dadurch Follower zu erzeugen. Eine Zielgruppe, die schnell gewonnen werden kann, wäre die "Generation Y": um die 30 Jahre alt, im Beruf stehend und mittlerweile ohne eigenes Auto.
Schritt 3: Problemwahrnehmung
Welche Probleme hat die Zielgruppe? Wie kann man diese mit der Innovation lösen? Was beschäftigt die Zielgruppe? Welchen Aufwand hat sie durch die Probleme? Wann treten diese Probleme auf? In welcher Situation sind diese Probleme am dringendsten? Was ist das brennendste Problem?
Das Hauptproblem der Zielgruppe besteht darin, dass für jede Fortbewegungsart eine andere App oder Website genutzt werden muss. Damit wird die eigene Mobilität erschwert. Durch die App "MOBA" kann dieser Aufwand reduziert werden.
Schritt 4: Aufmerksamkeit und Verbreitbarkeit
Was ist das aufmerksamste Thema der Zielgruppe? Wo und womit kann sie erreicht werden? Kann das Thema nachvollzogen werden? Für was interessieren sich die Lead User noch? Wie kann eine soziale Interaktion erfolgen?
Das wichtigste Thema ist die Wahrnehmbarkeit der App durch die Zielgruppe. Die könnte zum Beispiel an Kontaktpunkten zur Mobilität erfolgen: Bus und Bahn, ebenso im Zusammenhang mit Freizeitangeboten. Neue potentielle Nutzer könnten viral erreicht werden, indem Erstnutzer ihren eingesparten CO2-Verbrauch auf den Social Networks teilen.
Schritt 5: Produktwert
Welche Eigenschaften muss das Produkt aufweisen, um die Probleme der Zielgruppe zu lösen? Welchen praktischen Nutzenhat das Produkt? Welchen persönlichen Wert hat das Produkt für den Nutzer? Was ist das Killerfeature der Innovation, welches das Produkt einmalig macht?
Um die Probleme der Nutzer zu lösen, muss die Smartphone-Anwendung den Nutzer schlicht wie ein "TomTom" zum Ziel assistieren. Darüber hinaus benötigt die App eine intuitive Bedienung, kontextabhängige Informationen und beratende Funktionen.
Schritt 6: Erstnutzungserlebnis
Welchen ersten Eindruck hinterlässt das Produkt? Wie werden Erstnutzer unterstützt? Welche Möglichkeiten gibt es, diesen ersten Eindruck positiv zu verstärken? Was macht den Nutzer neugierig sich mit dem Produkt weiter auseinandersetzen zu wollen?
Der Erstnutzer der "MOBA" App beginnt mit einer präsenten und einfachen Zielsuche: "Wo will ich hin?" – so einfach wie bei Google. Auf seine Anfrage muss die App schnell ein Erfolgserlebnis bieten. Schafft sie das nicht, steigt der Nutzer aus.
Schritt 7: Stammnutzung
Was sind Funktionen, die den Anwender dauerhaft begeistern? Was ist der dauerhafte Nutzen dahinter? Was bewegt ihn dazu das Produkt wiederholt zu nutzen?
Die App könnte auf Dauer das Mobilitätsprofil des Nutzers verbessern, etwa mit Empfehlungen zu Monatskarten, Bike-Sharing etc. Eine monatliche Übersicht zum eingesparten CO2-Verbrauch würde den Nutzer motivieren noch umweltfreundlicher zu reisen.
Schritt 8: Integration der Partner & Stakeholder
Wer sind wichtige Partner und Multiplikatoren? Welchen Nutzen haben die Unterstützer?
Als Partner der App könnten ÖPNV- und Carsharing-Unternehmen ihre Kunden exklusiv ansprechen und durch die Kooperation profitieren.
Schritt 9: Einnahmen und Produktpolitik
Wie kann die Produktpolitik zur Einführung des Produktes gestaltet sein? Existiert ein schlüssiges Geschäftsmodell? Um mit der App Gewinne zu erzeugen, könnten Einnahmen über eine Provision auf erfolgreich vermittelte Ticketverkäufe erhoben bzw. eine Pauschale von Kooperationspartnern verlangt werden.
Zur richtigen Zeit die richtige Idee
Es ist allgemein bekannt, dass nur wenigen Innovationen ein Markterfolg beschieden ist. Die Liste der gescheiterten Innovationen scheint endlos, sodass es in den USA sogar einen eigenen Forschungszweig namens Innovation Failure Research gibt. Auch wenn dies zuerst einen negativen Beigeschmack haben mag, ist eine vermeintlich gescheiterte Innovation keineswegs verloren. Viele erfolglose Innovationen erleben einen zweiten Frühling, wenn man sich deren geschichtliche Entwicklung genauer anschaut.
Ein schönes Beispiel hierfür ist die Mikrowelle. Das erste Modell wurde 1947 in Amerika eingeführt und wog über 300 Kilogramm bei einem Preis von circa 5.000$. Zu dieser Zeit besaßen die meisten Familien, die eine Verwendung dafür gehabt hätten, nicht mal im Ansatz ein entsprechendes Einkommen. Das an sich revolutionäre Patent konnte sich nicht verkaufen und wurde erst später, als ein japanischer Ingenieur die Mikrowelle wie wir sie heute kennen entwickelte, zum Verkaufsschlager.